Freitag, 4. Juli 2014

Eingangsstatement in der Radio Horeb-Sendung „Standpunkt“ zur Menschenrechtssituation in Vietnam


Eingangsstatement in der Radio Horeb-Sendung „Standpunkt“ zur Menschenrechtssituation in Vietnam

1. Christenverfolgung in Vietnam. Zunächst muss man sagen, dass die derzeitige Christenverfolgung ein weltweites Phänomen ist. Vor allem in der islamischen Welt, also dort, wo der Islam die Religion der Mehrheit ist, also in Nordafrika, auf der Arabischen Halbinsel, im Nahen und Mittleren Osten, auch in Indonesien und auch in der Türkei – überall dort haben es Christen schwer. Vietnam ist nun eines der nicht vom Islam dominierten Länder, in denen Christenverfolgung besonders schlimm ist. Nicht ganz so schlimm wie in Nordkorea, wo die Verfolgung – nicht nur von Christen – seit Jahren am schlimmsten ist, aber doch zunehmend und besorgniserregend. Vor allem, weil es die gesamte Menschenrechtslage im Land betrifft.

Vietnam ist vor allem eines der Länder, in denen die Christenverfolgung zunimmt (Platz 18 im Open Doors-Weltverfolgungsindex 2014, nach Platz 21 im Vorjahr). Die Menschenrechtssituation ist besorgniserregend: Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit, aber auch Meinungs- und Pressefreiheit existieren de facto nicht. Pikant: Vietnam wurde Ende 2013 in den UN-Menschenrechtsrat aufgenommen, in ein Gremium also, das die Einhaltung der Menschenrechte weltweit kontrollieren soll. Unter der prekären Lage leiden besonders die katholischen Blogger, die dem Regime gleich doppelt verdächtig sind: als Christen und als Journalisten. Darum soll es nun gehen.
„Vietnam. Drei katholische Blogger in Haft“, „Vietnam. Neue Verhaftungswelle“, „Erst Kritik, dann Entlassung. Alltag in Vietnam“, „Vietnam. Wo Religion Privatsache ist“, „Studenten in Vietnam verurteilt“ – das sind einige der Überschriften, unter denen ich seit gut einem Jahr in meinem Weblog Jobo72 über die katastrophale Menschenrechtslage in Vietnam berichten muss.

Auf die prekäre Menschenrechtslage in Vietnam wurde ich aufgrund eines Prozesses gegen 14 katholische Blogger am Anfang des Jahres 2013 aufmerksam. Als katholischer Blogger muss ich auch in Deutschland einiges an Gegenwind ertragen, doch für meine Beiträge zehn, fünfzehn Jahre hinter Gittern zu verschwinden, das ist hierzulande undenkbar. Anders in Vietnam. Dort reichen einige kritische Bemerkungen aus, um inhaftiert zu werden.

Eine Frage beschäftigte mich: Wie kann ich meinen fernen Kolleginnen und Kollegen helfen, deren Schicksal mir nahe ging? Einerseits: berichten, informieren, Partei ergreifen. Das war mir aber nicht genug. So entstand Anfang 2013 eine Petition, in der ich von den Vertretern meines Landes, also Deutschlands, diplomatische Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in Vietnam einforderte. Sie wurde über 2500 mal unterzeichnet. Mittlerweile habe ich die Petition an die Gremien weitergeleitet, an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages und an die menschenrechtspolitischen Sprecherinnen bzw. Sprecher der Fraktionen. Sie wurde dort geprüft und soll – zusammen mit ähnlichen Petitionen – in den Umgang der Bundesregierung und der deutschen Behörden mit Vietnam eingehen, um die Menschenrechtssituation in diesem Land zu verbessern.

2. Warum sind Menschenrechte so wichtig? Menschenrechte bürgen für Freiheit und die Bedeutung der Freiheit kann gar nicht hoch genug angesetzt werden. Für uns Deutsche, also für die Menschen meiner Generation, die aus dem Westen kommen, ist Freiheit selbstverständlich. Dass es nicht selbstverständlich ist, das können uns schon unsere Landsleute aus dem Osten sagen, die erst nach vielen Jahrzehnten Diktatur in den Genuss der Freiheit kamen. Und umso mehr sagen es uns die Menschen, die heute immer noch in Unfreiheit leben, entweder persönlich, wie heute Abend hier, oder aber durch Horrornachrichten, wie wir sie immer wieder aus den Ländern hören, in denen es keine Freiheit gibt, aus dem Iran, aus Nordkorea oder eben aus Vietnam.

Noch einmal: Warum ist Freiheit, warum sind entsprechende Freiheitsrechte wichtig? Sie sind wichtig, weil sie zum einen das Wesen des Menschen berücksichtigen (wir sind nun mal nicht alle gleich) und zum anderen die Gesellschaft insgesamt politisch und wirtschaftlich voranbringen, durch Teilhabe der geeigneten Personen an den Entscheidungen (und nicht der Personen mit dem richtigen Parteibuch), durch die Chance, sich selbst zu verwirklichen und mit der Entfaltung der eigenen Talente die ganze Gemeinschaft voranzubringen (Wissenschaft, aber auch Kunst braucht in dieser Hinsicht Freiheit) und schließlich auch durch eine gerechte oder zumindest nicht ganz so ungerechte Verteilung der Güter auf einem freien Markt, wobei sich hier auch die Grenzen der Freiheit zeigen: die Freiheit des Anderen, vor allem die des Schwächeren.

3. Für den Einzelnen ist vor allem die Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit ein hohes Gut. In Europa hat es lange gedauert, bis man das eingesehen hat. Auch die Katholische Kirche hat lange gebraucht, um die Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit anzuerkennen, im Grunde ist das erst im Zweiten Vatikanischen Konzil passiert, vorher nicht. Dabei ist die Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit ein zentrales, herausragendes, elementares und – bezogen auf die Genese der Menschenrechtsidee – ursprüngliches Menschenrecht und die Menschenrechte selbst lassen sich ohne das Christliche Menschenbild und die besondere Würde des Menschen als ebenbildliches Geschöpf Gottes gar nicht verstehen. Christliches Gedankengut zeigt sich denn auch überall im Kontext der liberalen Menschenrechte, in der Entwicklung, dem Wesen und dem Geltungsanspruch dessen, was als Freiheit von staatlicher Allmacht definiert wird. Es zeigt sich in Leib- und Lebensrechten, wie etwa im Folterverbot, und es liegt der Gleichberechtigung, zugrunde, die darauf basiert, dass wir Menschen vor Gott alle gleich sind, auch, wenn wir unterschiedlich aussehen, unterschiedliche Fähigkeiten haben und an Unterschiedliches glauben. In diesem Bewusstsein kann man Niemanden von den Menschenrechten ausschließen. Wer immer das tut, auch, wenn er dabei meint, die Kirche zu vertreten, handelt unchristlich. Das bedeutet nicht, dass man als Christ oder dass die Kirche insgesamt nicht eine klare Vorstellung von Gut und Böse haben sollte, von Wahrheit und Irrtum. Es bedeutet nicht, dass alles gleich gültig ist, ins Belieben des Menschen gestellt. Ganz und gar nicht. Es gebietet aber Toleranz, es gebietet, den Anderen als Person zu achten und dieser menschlichen Person auch dann ein Minimum an Rechten zuzubilligen, wenn und soweit ihre Vorstellungen derart von der Position des Staates oder der Kirche oder der Gemeinschaft abweichen, dass sich aus der Sicht von Staat, Kirche und Gemeinschaft nichts Respektables an ihr finden lässt. Auch dann soll dieser Mensch frei sein, soll dieser Mensch seine Meinung sagen dürfen, soll dieser Mensch leben. Die Trennung von Person und Position, negativ: von Sünder und Sünde, ist ein Grundgedanke der christlichen Ethik, die sich in der Forderung nach Toleranz wiederfinden lässt.

Die vielen Freiheiten in Politik, Wissenschaft, Medien und Kunst, das macht nicht zuletzt ein Blick in die Entwicklungsgeschichte der Menschenrechtsidee deutlich, gründen auf der einen elementaren Freiheit, der Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit. Dies lässt sich historisch zurückverfolgen bis zum Exodus des jüdischen Volkes, in der sich die erste kollektive Freiheitsbewegung der Geschichte manifestiert, deren Motiv auch in der religiösen Integrität der Israeliten liegt. Dann zeigt es sich in der Reformation, als Luther sein Gewissen bemüht und für sein Bekenntnis schließlich Anerkennung erwirkt. Bis zur echten Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit sollte es zwar noch einige Jahrhunderte dauern, aber immerhin wurde Mitte des 16. Jahrhunderts in Augsburg der Grundstein gelegt. Die Reformation ist die Urform des neuzeitlichen Widerstands gegen missbrauchte Macht. Man nennt die Menschen, die Luther folgen, bis heute auch Protestanten, also „Widerständische“. In diesem Sinne bin auch ich Protestant! Der Staatsrechtler Jellinek sieht in der Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit „das Ursprungsrecht der verfassungsmäßig gewährten Grundrechte“. Und der in Religionsfragen eher unverdächtige Marxist Ernst Bloch meint: „Die Bedeutung der Glaubensfreiheit kann daran gemessen werden, dass in ihr der erste Keim zur Erklärung der übrigen Menschenrechte enthalten ist“. Kurzum: Ringen um Freiheit war und ist zunächst das Ringen um Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit. Auch in Vietnam.

4. Für die Gemeinschaft ist vor allem die Meinungs- und Pressefreiheit wichtig. Sie ermöglicht die Kritik der Zustände und damit die Bereitstellung von Lösungsansätzen zu ihrer Verbesserung. Deswegen laufen in Diktaturen bestimmte Dinge so katastrophal schief: Weil sich keiner traut, etwas dagegen zu sagen. Um das zu wissen, muss man noch nicht mal Demokrat sein. Auch ein guter König verlangt von seinen Beratern Ehrlichkeit. Denn irgendwann wird das Schweigen und Heucheln von der Realität bestraft.

5. Bei den katholischen Bloggern, von denen ich eingangs sprach, kommt nun beides zusammen: Ein Mangel an Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit sowie ein Mangel an Meinungs- und Pressefreiheit. Das ist doppelt schlimm: Sie können nicht katholisch sein und sie können keine Blogger sein. Um ihnen beides zu ermöglichen, dafür habe ich gekämpft und tue das auch weiterhin. Ich möchte mal an einigen Beispielen aufzeigen, wie in Vietnam diese elementaren Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

Wenn überhaupt, dann erfahren wir von Inhaftierungen in Vietnam nur, wenn es sich dabei um mehr oder weniger prominente Opfer handelt, wie im Fall des katholischen Paters Nguyen Van-Ly (Haftstrafe) oder des buddhistischen Mönches Thich Quang Do (Hausarrest). Die staatlichen Repressionen gegen ganz normale Priester und Ordensleute werden hingegen in der Presse nicht erwähnt. An diese alltägliche Verfolgung hat die Menschenrechtsorganisation International Christian Concern erinnert. Danach werden in Vietnam derzeit mehr als sechzig Priester und andere religiöse Würdenträger „unter schwierigen Bedingungen“ in Haft gehalten, auf vier Lager im Land verteilt. Ein aus Vietnam stammender Theologe, der in Rom ein Priesterkolleg leitet, bezeichnete Radio Vatikan zufolge den International Christian Concern-Bericht gegenüber Fides als „vollkommen glaubwürdig“. Es gebe weiterhin „klare Einschränkungen der Meinungs- und Gewissensfreiheit“ in Vietnam.

Eine Schlüsselrolle spielt dabei eine Anfang 2013 in Kraft getretene Verordnung zur Umsetzung des Religionsgesetzes, die nach Einschätzung von Open Doors, eine Einrichtung, die sich um verfolgte Christen kümmert und den eingangs schon erwähnten Weltverfolgungsindex herausgibt, die Kontrolle der Kirche zunehmend verschärft. Zwar wird in Vietnam die Religionsfreiheit auf dem Papier gewährleistet, doch unter sehr strengen Bedingungen, die dieses Ur-Menschenrecht substantiell aushöhlen. Die „Verordnung zur Religion (92/2012 ND CP)“, kurz ND 92, zeigt, dass es den Behörden in Vietnam im Grunde darum geht, jede gemeinschaftliche Religionsausübung unmöglich zu machen.

Entscheidend ist dabei der in der neuen Norm erwähnte Tatbestand des „Freiheitsmissbrauchs“, der bereits vorliegt, wenn in Religionsgemeinschaften eine vom Verständnis der vietnamesischen Behörden abweichende Spiritualität gelehrt wird, wenn etwa, wie im Christentum, die Anbetung des Dreieinigen Gottes an die Stelle der Ahnen- und Heldenverehrung tritt. Dann, so die Sicht der Behörden, werde nicht nur die „Pflege der guten Gebräuche“ vernachlässigt, sondern dann sei auch die „nationale Einheit“ in Gefahr. Mit diesem Pfund schlagen die Behörden regelmäßig Alarm. Es kommt vermehrt zu Festnahmen und Inhaftierungen.

Die Auflagen für die Kirche sind absurd: Die Gemeinden müssen im Oktober eine vollständige Liste aller für das kommende Jahr geplanten Aktivitäten vorlegen – nachträgliche Änderungen sind nicht erlaubt. Das gilt auch für Taufen und Hochzeiten. Sogar Beerdigungen müssen ein Jahr im Voraus terminiert werden. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man wohl lachen. Traurig ist es allerdings, denn auf der Basis dieser Verordnung herrscht Behördenwillkür und die Repressionen gegen die Kirche nehmen tagtäglich zu.

Wenn nun Priester und katholische Blogger einmal in Haft sind, hört die Repression aber nicht auf. Ähnlich wie in Nordkorea sind Christen nicht nur „Staatsfeinde Nummer 1“, sondern auch „Häftlinge der untersten Kategorie“. Die Schikanen gegen sie und ihre Angehörigen gehen weiter. Es reicht den Behörden in Vietnam offenbar nicht, Menschen, die eine abweichende Meinung haben und diese auch äußern, ins Gefängnis zu werfen. Sie versuchen auch jeden Kontakt zu den Angehörigen zu unterbinden.
Nguyen Tri Dung, der Sohn des inhaftierten Bloggers Nguyen Van Hai, bekam dies bei seinem letzten Besuch am 2. Januar 2013, wenige Tage nach der Verurteilung seines Vaters, zu spüren: „Sie haben sich gleich eingemischt und unser Gespräch beendet, als mein Vater mir sagte, ich solle, wenn ich daheim bin, Bücher über die Demokratie und die Menschenrechtskonvention lesen. Dies hat nichts mit dem Urteil gegen meinen Vater zu tun. Bei diesem Besuch konnte ich meinen Vater nur 15 Minuten sehen, sie haben aber 10 Minuten lang unser Gespräch durch lautes Schreien gestört. Sie sagten mir: ,Sie verstoßen gegen die Regeln des Gefängnisses. Sie dürfen nur nach dem Befinden fragen und nicht über die Gerichtsverhandlung oder über andere Dinge sprechen.’ Mein Vater und ich sind sehr empört.“ Und nicht nur er und sein Vater, sondern auch ich und viele andere Menschen, Vietnamesen und Deutsche, die von hier aus versuchen, die katastrophale Menschenrechtslage in Vietnam öffentlich zu machen.
http://vg02.met.vgwort.de/na/d6747212c40643cfba9be3718fd5c1c4

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