Donnerstag, 24. April 2014

ÜBER DIE WANDERAUSSTELLUNG in NAUMBURG am 24. April 2014 (Burgenland, Sachsen-Anhalt)

ÜBER DIE WANDERAUSSTELLUNG in NAUMBURG am 24. April 2014 (Burgenland, Sachsen-Anhalt)

Vietnamesen in Deutschland - geflohen – geworben – geeint

Bis in die späten 1970er Jahre lebten wenige Vietnamesen in Deutschland. Erst mit der Massenflucht der Boat-People aus Vietnam änderte sich das: 
Tausende fanden hier Aufnahme, zuerst im Bundesland Niedersachsen. 

In der DDR hingegen stellten Vietnamesen die größte Gruppe von Vertragsarbeitern aus befreundeten sozialistischen Ländern. 

Beide Personenkreise – die einen im Westen, die anderen im Osten – blieben sich durch den „Eisernen Vorhang“, der Deutschland nicht nur geografisch teilte, weitgehend fremd. 

Doch seit dem Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren ergeben sich neue Begegnungen, es kommt zum Austausch und auch zu Freundschaften.

Während der letzten Jahren wurden über das Vietnam Zentrum Hannover Zeitzeugen interviewt, sowohl frühere Boat People als auch DDR-Vertragsarbeiter. Sie erinnern ihre persönlichen Erfahrungen, erzählen vom Leben in den verschiedenen Gesellschaftssystemen, berichten über die gemeinsame deutsch-vietnamesische Geschichte.

Die Ergebnisse dieses Projektes werden in einer Wanderausstellung präsentiert. Sie zeigt Dokumente und Bilder aus der ersten und zweiten Heimat, von der Flucht und vom Ankommen – und sie zeigt, wie Menschen aus einem anderen Land sich hier eingelebt haben.

Zum Hintergrund des Projektes

Heute leben schätzungsweise ca. 120.000 Vietnamesen in Deutschland und setzen sich großenteils aus zwei Gruppen zusammen: einerseits aus Boat People, die seit den späten 70er Jahren in die BRD gelangten, andererseits aus früheren Vertragsarbeitern, die in die DDR einreisten – und etwa die Hälfte nach dem Fall der Mauer blieben. 

Dazu sind weiter die Familienangehörigen zu rechnen. Während die einen also vor dem Staatssozialismus, wie er sich 1975 mit dem Sieg der nordvietnamesischen Seite durchgesetzt hatte, flohen, galten die anderen gerade als dessen Abgesandte und wurden in der DDR möglichst auch auf Linie gehalten. 

Vor diesem Hintergrund bestehen bis heute Spannungen und oft ausgeprägte Aversionen zwischen den Gruppen. Vielleicht verhält sich das unter Deutschen nicht so wesentlich anders, denn auch hier sind ja die Grenzen in den Köpfen – nach jahrzehntelanger Spaltung zwischen Osten und Westen – noch immer nicht überwunden.

Beim Vietnam-Zentrum Hannover sitzen sie zusammen, da sprechen gewesene Vertragsarbeiter mit Boat-People, und dazu gesellen sich auch andere, die etwa zum Studium herkamen. Sie teilen den kritischen Blick auf die Verhältnisse in Vietnam, mit dieser Haltung pflegt das Vietnam-Zentrum den Geist der Versöhnung.

Versöhnung

Ein wichtiges Anliegen der Ausstellung war die Anschaulichkeit. Das bedeutete auch, Geschichte in Geschichten abzuhandeln, das Persönliche, Konkrete, Individuelle erfahrbar zu machen. Und so schließt diese Rede mit der Geschichte zweier Menschen, die sich zuerst in Vietnam und dann wieder in Deutschland kreuzte. Sie steht dafür, was das meint, was das meinen sollte: 

„Vietnamesen in Deutschland – geflohen, geworben, geeint“.

* Der Händler Van Mai Pham, geboren 1954 in Hanoi, wäre gern Lehrer geworden. Doch für junge Männer seiner Generation führte der Weg fast immer zum Militär. Den Krieg erlebte er bei einer Eliteeinheit, hatte vergleichsweise Glück, gut ausgebildet als Kundschafter hinter den gegnerischen Linien eingesetzt zu werden, während gewöhnliche Infanteristen massenweise fielen. 

Nach dem Krieg arbeitet er für die Stadtverwaltung in Hanoi. Weil Pham etwas sehen wollte von der Welt, ging er 1988 als Vertragsarbeiter in die DDR, fertigte Elektroartikel im sächsischen Döbeln. 

Als es mit der Wende und der Einführung der Marktwirtschaft abwärts ging mit dem Betrieb, wurden die Vietnamesen mit als die Ersten entlassen. In Vietnam mochte Pham jedoch nicht mehr leben. 

Obwohl er der kommunistischen Lehre früher anhing, sah er die realen Verhältnisse im Laufe der Jahre zunehmend kritisch. 

Aus Vietnam war nicht das Land geworden, für das er sein Leben riskiert hatte. Er wollte im Westen bleiben, ging nach Hannover und erhielt Asyl. Politisch engagierte er sich beim Vietnam-Zentrum. Erst 2002 durfte seine Frau einreisen, auch zwei erwachsene Töchter leben inzwischen hier. 

Fünf Tage die Woche fährt Pham die Märkte in der Region Hannover an, verkauft dort an einem eigenen Stand handgefertigte Korbwaren aus Vietnam.

* Der Dichter Nam Son Le wurde 1949 in der zentralvietnamesischen Provinz Binh Dinh geboren. Die Familie betrieb eine größere Landwirtschaft. Nach der Schule wollte er studieren, das war sein Wunsch, aus dem nichts wurde. Als Artillerieoffizier diente er an der Front. Mehr als drei Jahre verbrachte er dann unter schrecklichen Bedingungen in zwei Umerziehungslagern, wo er Minen räumen musste, hungerte und mit ansah, wie Mitgefangene elend umkamen. 

Auch nach der Entlassung 1978 hatte er Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Er sah keine Zukunft, sah schlechte Chancen für sich, seine Frau und den kleinen Sohn. Im Rückblick sagt er, das Lager fühlte sich an wie „das kleine Gefängnis“, Vietnam als Ganzes wie „das große Gefängnis“. 

Unter dramatischen Umständen gelang ihm 1980 die Flucht auf einem kleinen Boot, über Singapur führte der Weg nach Deutschland. Die Familie konnte bald folgen. Heute ist Le namhafter Dichter in der auslandsvietnamesischen Community. 

Unter dem Pseudonym Song Lo arbeitet er bei mehreren Zeitschriften mit, publiziert auch im Internet. Er schreibt Lyrik, Kurzprosa, journalistische Beiträge, er schreibt über Vietnam, über seine Erfahrungen, Erinnerungen, über das Leben im Exil. Mit literarischen Mitteln tritt Le ein für Veränderungen in seiner ersten Heimat – für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.

* Bei einem Liederabend in Hannover lernten Van Mai Pham und Nam Son Le sich kennen. Sie stellten fest, dass sie auf denselben Schlachtfeldern gekämpft hatten, beide hatten an dem mörderischen Ringen um die Stadt Quang Tri teilgenommen. Pham und Le haben ein gemeinsames Hobby, sie singen gern. 

In Hannover sangen sie mit- und füreinander, vor allem ein Lied nach den Versen des Dichters Ho Pham. Es handelt davon, wie einer von zwei Freunden im Krieg fällt – und wie der andere um ihn trauert. Damit haben Le und Pham es schon weit gebraucht, sie traten auf in Paris, Berlin, Warschau, vor weinenden Menschen. 

Ihre Botschaft formuliert Le: „Krieg tötet die Liebe. In jedem Krieg verlieren die Völker. Bewegt aus eigenem Erleben singen wir dieses Lied mit dem Wunsch: Wir waren hasserfüllte Feinde, wir wollten uns töten. Aber besinnt euch auf das Lied: 

Lasst das Töten nicht mehr geschehen, lasst uns und unsere Kinder für immer Freunde sein.“

CL


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